IN A STATE OF FLUX – Fotofehler im Wandel der Zeit
IN A STATE OF FLUX – Fotofehler im Wandel der Zeit
Fotografische Fehler gehören seit Erfindung des Mediums zu den erklärten Feinden der Fotograf:innen. Gleichwohl sind sie auch immer wieder Quellen künstlerischer Kreativität und medialer Reflexion. In a State of Flux zeichnet jenen wechselvollen Weg fotografischer Entwicklungsfehler von versehentlichen Unfällen zu künstlerischen Strategien nach und präsentiert auch digitale Formen sogenannter Glitch Art.
Die Wirklichkeit bestmöglich imitierend, soll(t)en fotografische Bilder genau das zeigen, was sich im Moment des Auslösens vor der Kamera befunden hat. Der Weg zur Vervollkommnung des Mediums war indes gesäumt von Zu- und Unfällen, Missgeschicken und Übeln – kurz: Fehlern. Materialerscheinungen wie eine grobe Kornstruktur der Silbergelatine oder Entwicklerflecken schrieben sich sichtbar in die Bildoberfläche ein und verstellten das eigentliche Motiv. Fotozeitschriften und Handbücher reagierten darauf, indem sie die Abweichungen genauestens analysierten und gemeinsam mit der Leserschaft diskutierten.
Natürlich halten sich Vorstellungen von der perfekten Fotografie bis heute, doch hat sich der Umgang mit ihren «Fehlern» unterdessen gewandelt. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde ihr Potenzial erkannt und von selbsternannten Geisterfotograf:innen instrumentalisiert, um die gläubige oder auch amüsierte Masse zu täuschen. Mithilfe gezielt eingesetzter Lichtreflexe oder chemischer Reaktionen wurden die Bilder derart manipuliert, dass sie scheinbar den Geist Verstorbener bis hin zu den Gedanken Lebender zeigten.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Eigenheiten fotografischer Chemikalien erfolgte wesentlich später. Ziel war es nun, die Fehler zu beherrschen, um sie kultivieren und mitunter zu Werbezwecken gezielt einsetzen zu können. Folglich ist es u.a. den Gebrauchsgrafiker:innen zu verdanken, dass es allmählich zu einem Umdenken kommen sollte. Damit gehörten die vormaligen Fehler aber nicht automatisch auch dem Kanon der Kunst an. Der Weg zu ihrer Anerkennung war wechselhaft und von vielen Diskussionen gesäumt. Zunächst war es vorrangig den Künstler:innen der 1920er und 1930er Jahre vergönnt, sich mit «unorthodoxen» Experimenten im Umfeld des Surrealismus frei und ungezwungen bewegen zu können. Offizielle Anerkennung fanden jedoch erst die Konzeptkünstler:innen der 1960er Jahre. Systematisch erschlossen sie die Möglichkeiten materialer Sichtbarmachungen im Bereich der Fotografie und schufen Kunstwerke, die sich der klassischen Abbildungsdoktrin widersetzten.
Mit dem Aufkommen der digitalen Fotografie und ihrer Bildbearbeitungsmethoden war die Erzeugung «perfekter» Bilder nur noch einen Klick weit entfernt. Doch schon bald wurden Mittel und Wege ergründet, auch dem Digitalen Momente des Unvollkommenen zu entlocken – sei es durch Apps und Filter oder im Rahmen der Glitch Art. Spätestens im Zuge dieser Entwicklungen ist das fotografisch Fehlerhafte endgültig salonfähig geworden.
Kuratiert von Franziska Kunze, Stipendiatin der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung im Fotomuseum Winterthur