CAR, CHARACTER, CAMERA – Eine Recherche von Stéphanie Gygax
CAR, CHARACTER, CAMERA – Eine Recherche von Stéphanie Gygax
Fotografische Porträts im Innenraum von Autos stehen im Zentrum der Recherche von Stéphanie Gygax (CH, *1975). Aus Büchern hat sie sich Bilder dieser Art von verschiedenen FotografInnen angeeignet und daraus die Wandinstallation People in a Faraday Cage entwickelt, die in der Passage zum ersten Mal öffentlich gezeigt wird. Auf einem mit Schnur angedeuteten Umriss eines Autos werden schwarzweisse Kopien der gesammelten Fotos an jene Stelle geheftet, an der sich im Augenblick der Aufnahme die Kamera befunden haben muss. Aus der formalen Analyse entsteht ein vielschichtiges Wimmelbild, das einen Querschnitt durch die Fotogeschichte anhand dieses spezifischen Bildmotivs bietet. Ebenfalls vorgestellt wird die gleichnamige Publikation, welche die Künstlerin ausgehend von dieser Installation erstellt hat. Eine Auswahl von Büchern aus dem Bestand der Fotobibliothek und drei Fotografien, welche die Künstlerin selbst aufgenommen hat, erweitern die Typologie.
Das Auto spielt im Werk vieler bekannten Fotograf:innen wie zum Beispiel Robert Frank, Dorothea Lange, Lee Friedlander, Nan Goldin oder William Eggleston eine wichtige Rolle: Auf unzähligen Roadtrips – insbesondere durch die USA – fangen sie Ansichten von Landschaften und Strassenzügen ein. Dabei verwandelt sich der faradaysche Käfig des Wagens in eine erweiterte Kamera, die Autofenster dienen als Sucher, durch die nach aussen geschaut und fotografiert wird. Beim hier untersuchten Bildtypus aber dreht sich dieses Setting um: Die Kamera richtet sich auf die Reisenden, die Enge des Fahrzeugs beschränkt die Blickrichtung und wird zugleich zur intimen Umgebung für ein Porträt. Unterwegs und doch in einem geschützten Raum entstehen so Fotografien, die sich im Zwischenbereich von Strasse und Fotostudio ansiedeln lassen.
Auch in der Filmgeschichte ist «On the Road» ein wiederkehrender Topos, Einstellungen mit fahrenden Personen sind in Spielfilmen allgegenwärtig. Dafür werden nicht selten ganze Autos so umgebaut, dass die Kamera am gewünschten Standpunkt positioniert werden kann. In der Fotografie hingegen dient das Auto als Fortbewegungsmittel für Reisen, auf denen Aufnahmen von Landschaften, Strassenzügen, Ortschaften und Menschen entstehen. Porträts von Personen im Auto entstehen nebenbei, wenn sich der Blick auf das eigene Unterwegssein richtet, bisweilen haben diese Bilder den Status von Making-of-Aufnahmen. Vielleicht gerade deshalb haftet diesen Fotografien eine besondere Faszination an. Jack Kerouac schreibt 1959 in seiner Einführung zu The Americans von Robert Frank: «Robert nimmt nachts zwei Anhalter mit und lässt sie fahren, und die Leute schauen ihre Gesichter an, die grimmig in die Nacht hinausblicken […], und die Leute sagen ‹Oh, sehen die aber böse aus›, doch denen kommt es nur darauf an, diese Strasse hinunterzupreschen und möglichst schnell in die Falle zu kommen […].»
Einen weiteren Aspekt beleuchten Bücher von Mike Mandel, Jules Spinatsch und Kurt Caviezel: den voyeuristischen Blick von aussen durch die Fensterscheiben auf die Passagiere. Nicht das eigene Auto, mit dem man unterwegs ist, sondern das fremde, das vorbeifährt, rückt in den Fokus. Die Insassen, die sich unbeobachtet fühlen, werden aus der Perspektive eines Paparazzi-Fotografen abgelichtet. Diese Bilder zeigen auf, wie stark die meisten AutofahrerInnen ihr Gefährt als private Kapsel begreifen, mit der sie sich vermeintlich unerkannt durch den öffentlichen Raum bewegen.