GROSSFORMAT – Das Fotobuch als Bilderatlas
GROSSFORMAT – Das Fotobuch als Bilderatlas
Grossformate fallen auf. Sie beanspruchen viel Platz und werden in privaten Wohnungen nicht selten an einem Ort im Regal dazwischengeklemmt oder hingelegt, wo eigentlich keine Bücher hingehören. In öffentlichen Bibliotheken hingegen wird ihnen ein besonderer Standort zugewiesen, der auf ihre Übergrösse zugeschnitten ist. In der Fotobibliothek werden alle Bücher, die höher oder breiter als 34 cm sind, dem Standort «Grossformate» zugeordnet, aktuell sind dies 454 Monografien. Das ist im Vergleich zum Gesamtbestand von rund 15 800 monografischen Titeln eine kleine Zahl. Und doch sind es gerade auch diese speziellen Formate, die durch ihre Machart exemplarisch Fragen nach der Gestaltung und Wirkung von Fotobüchern aufwerfen.
Im Grossformat können Fotografinnen und Fotografen ihre Bilder auf eine Art und Weise präsentieren, die sich von der Gestaltung in gängigen Buchformaten unterscheidet. Dabei fallen zwei Ansätze auf, die als entgegengesetzte Pole verstanden werden können: Entweder werden die Doppelseiten dafür verwendet, einzelne Fotografien in einer Grösse abzudrucken, die sich an fotografischen Abzügen orientiert und dem Buch bisweilen eine Ähnlichkeit zu einem Mappenwerk verleiht. Oder aber die zur Verfügung stehende Fläche wird mit mehreren Fotografien gefüllt, wobei es um spielerische Kombinationen und assoziative Bezüge zwischen den Bildern geht.
Zwischen diesen zwei Gestaltungsweisen tut sich ein breiter Fächer an Variationen auf. So werden beispielsweise durch die Anordnung und die unterschiedlichen Grössen von Porträts Bezüge zur Präsentationsform des Fotoalbums hergestellt, wie bei Malick Sidibés Bamako 1962–1976 (1995), oder das Bildmaterial wird collageartig überlagert wie bei I love New York (2006) von Isa Genzken, An Image (2019) von Dominik Hodel und Vrun der Grenz (1989) von Jul Keyser. Weit verbreitet ist auch die Verwendung eines Zeitungsformats, bei dem ungeheftete Seiten ineinandergelegt werden und in manchen Fällen einzeln auch als eigenständige Bildtafeln funktionieren, zum Beispiel bei David Southwoods Memory Card Sea Power (2004), Aram Tanis‘ Urban Jungle (2008) und Joël Tettamantis Salins Hyères (2004). Die paarweise Gegenüberstellung gegensätzlicher Bildformen und Grössen auf einer Doppelseite ist eine weitere Spielform, wie beispielsweise bei Innere Gärten (1998) von Eva-Maria Schön.
Der Begriff des Bilderatlas, der im Zusammenhang mit grossformatigen Arrangements von verschiedenartigen Abbildungen immer wieder auftaucht, ist eng mit dem Kulturwissenschaftler Aby Warburg (1866–1929) und seinem Buchprojekt Mnemosyne verknüpft. Anhand von Bildkombinationen und -anordnungen auf grossformatigen Tafeln erforschte Warburg das Fortleben antiker Formgebungen in aufeinanderfolgenden Epochen bis hin in seine Gegenwart. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Atlas in Zusammenhang mit Büchern geht allerdings noch viel weiter zurück. Der flämische Kartograf Gerhard Mercator (1512–1594) führte ihn für sein geografisches Kartenwerk ein. Zur Darstellung von Landkarten ist ein grosses Format von Vorteil, beim Buchdruck bezeichnet man von daher einen ungefalteten Bogen Papier als Atlasformat. Inzwischen wird ganz allgemein von Atlas gesprochen, wenn es um eine gebundene Sammlung von Bildtafeln zu einem bestimmten Thema oder Wissensgebiet geht. Das Format, ob klein oder gross, spielt dabei keine Rolle mehr.
Während die acht zeitungs- und zeitschriftenartigen Publikationen an der Wand zu einer Reihe kombiniert sind, die den Fokus auf gestalterische Möglichkeiten lenkt, sind in den fünf Vitrinen jeweils drei Titel zu thematischen Schwerpunkten zusammengefasst, die sich aus unserem Fundus an grossformatigen Fotobüchern aufgedrängt haben: abstrakte Landschaften, Formen des Porträts, die Stadt New York, das Motiv des Fensters und Titel, welche die Medien Film, Fernsehen und Fotografie selbst zum Thema machen.