Jean-Pascal Imsand – La voie lactée
Jean-Pascal Imsand – La voie lactée
Unter den Schweizer Fotografen, die in den 1980er Jahren die Szene betraten, war Jean-Pascal Imsand (1960-94) ein Aussenseiter, ein hochbegabter und äusserst sensibler Bildermacher. Schon früh begann er zu zeichnen und kam durch seinen Vater mit der Fotografie in Kontakt. Nach einem kurzen Intermezzo an der Kunstgewerbeschule Basel liess er sich aber im Atelier von Pietro Sarto in Saint-Prex als Lithographiedrucker ausbilden. Von Freunden ermutigt, wandte sich Imsand danach doch ganz der Fotografie zu und begann für Publikationen wie Femina, Emois, L’Hebdo und Voir zu arbeiten. 1988 erhielt er für eine Serie traumhaft dunkler, technisch virtuos ausgeführter Fotomontagen in Arles den „Grand Prix Européen de la Photographie“ („European Kodak Award“). Diese Auszeichnung verhalf ihm praktisch über Nacht zu internationaler Beachtung. In der Folge liess er sich in Zürich nieder und publizierte regelmässig in du, Das Magazin und Le Nouveau Quotidien. Neben der professionellen Erwerbsarbeit im Bereich Reportage verfolgte er kontinuierlich persönliche Projekte und veröffentichte eine eigenwillige Hommage an seine Heimatstadt Lausanne (Lausanne, une jeunesse, Lausanne 1990) und eine Auswahl seiner Fotomontagen unter dem Titel Vision (Zürich 1992).
Obwohl Imsand ein eher scheuer und unaufdringlicher Zeitgenosse war, profilierte er sich als einfühlsamer Porträtist von Politikern, Künstlern und anderen Persönlichkeiten des Kulturlebens: von den zum Teil unbekannten, jungen Kreativen in Lausanne bis zu arrivierten wie Jean-Luc Godard oder Paul Nizon. Vor allem aber porträtierte er seine Frau Sabina, eine ausgebildete Schauspielerin, die ihm während Jahren spielerische Komplizin und vielseitiges Modell war. Ein letztes Buchprojekt, ein gross angelegtes Porträt des Kreis 5, seines Wohnquartiers in Zürich, blieb unvollendet und unpubliziert. In diesem Projekt stellte Imsand völlig gegensätzliche Lebensbereiche, die er nach und nach für sich entdeckte, einander gegenüber. Beobachtungen in einem Stadtquartier, eher Fragen als Antworten: die harte Arbeit der Saisonniers, die an der Bahnlinie vor seiner Wohnung an der Limmatstrasse arbeiteten; die Limmatstrasse selbst – die eigentliche Lebensader des Quartiers; die spielerische Betriebsamkeit in einer Werkstatt für Behinderte; das verklärte Licht, das sich über die Besucherinnen inmitten des organisierten Chaos des Brockenhauses „Brocki-Land“ ausbreitet; die kühle, fast klinische Atmosphäre in der Zürcher Stadtküche; die Leere und Kälte im Letten-Areal, wo sich die berüchtigte Drogenszene niedergelassen hatte, Menschen wie Abfall auf dem Abstellgleis.
Ob schnell gesehene Reportagebilder oder bedächtig erarbeitete Fotomontagen, Imsand stelltealle seine Abzüge mit der Sensibilität eines Druckers an der Handpresse her. Sie leben durch den Kontrast zwischen nachtschwarzen Schatten und leuchtend hellen Weisstönen und besitzen dadurch eine einzigartige Ausstrahlung.
Vertreten von der Agentur „Vu“ (Paris) und mit der Fotografenagentur Lookat (Zürich) verbunden, gehörte Jean-Pascal Imsand zu den hoffnungsvollsten Vertretern der jungen Schweizer Fotografie um 1990. Die Ausstellung „Jean-Pascal Imsand – Retrospektive“ vereinigt zum ersten Mal die Hauptwerke seiner kurzen, intensiven Schaffenszeit und erlaubt Einblicke in seine persönliche, poetische Bilderwelt, sein Leben als Fotograf zwischen Realität und Traum, zwischen Dokument und Imagination.
Initiiert von der Fondation Jean-Pascal Imsand, Zürich, entstand die Ausstellung als Zusammenarbeit zwischen Fotostiftung Schweiz, Winterthur, Musée de l’Elysée, Lausanne und Galleria Gottardo, Lugano. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Fotografien in der Ausstellung von Jean-Pascal Imsand selbst hergestellte Originalabzüge. Sie stammen aus seinem Nachlass, der von der Fondation Jean-Pascal Imsand verwaltet wird und sich im Depot bei der Fotostiftung Schweiz befindet.
Begleitend zur Ausstellung erschien eine Publikation bei Lars Müller Publishers.