(Un-)Ordnung – Werke aus der Sammlung des Fördervereins
(Un-)Ordnung – Werke aus der Sammlung des Fördervereins
Seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert wurde die Fotografie eingesetzt, um sich ähnelnde Erscheinungen und Objekte nebeneinanderzustellen und miteinander zu vergleichen. Schon 1843 begann die englische Botanikern Anna Atkins, ihre Fotogramme von Algen, Farnen und anderen Pflanzen zu typologischen Nachschlagewerken zusammenzufassen und zu veröffentlichen. Das serielle Verfahren, das zunächst im wissenschaftlichen und technischen Kontext oder etwa bei der Personenerfassung nützlich war, wurde ab den 1970er-Jahren von der Konzeptkunst wieder aufgegriffen: Die Hochöfen und Wassertürme von Bernd und Hilla Becher gelten als Paradebeispiele einer typologischen, seriellen Fotografie.
«Ausdruckslos und unbarmherzig bringt die systematische Wiederholung von Formen eine willkommene Ordnung in eine ansonsten chaotische Welt. (…) Sie verspricht Kontrolle über das, was zu sehen ist, ja über das Sehen an sich. Doch gerade dieses Versprechen verrät ein Unbehagen, das all diesen Arbeiten zugrunde liegt. Unter der Oberfläche lauern Differenzen und Unordnung. (…) Deshalb ist die Geschichte der typologischen Fotografie immer auch eine Geschichte der Verdrängung und Angst. Gerade das macht sie zu einem bevorzugten Gegenstand der kritischen Reflexion und künstlerischen Intervention.» (Geoffrey Batchen, «Ordering Things», 2015)
Seit 2008 ergänzt und erweitert die Fotostiftung Schweiz ihre Bestände, indem sie mit Unterstützung des Fördervereins Arbeiten von zeitgenössischen Schweizer Fotograf:innen erwirbt. Die stetig wachsende Sammlung repräsentiert längst nicht alle interessanten Tendenzen und Phänomene. Dennoch sind die angekauften Positionen überaus vielfältig und kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Es fällt aber auf, dass in den vergangenen zwanzig Jahren mehrere Projekte ausgewählt wurden, die auf die eine oder andere Weise die Tradition von Anna Atkins und den Bechers fortsetzten: Jean-Luc Cramatte, Roger Eberhard, Aline Henchoz und Christian Schwager recherchieren und fotografieren jeweils Orte mit einer gemeinsamen Funktion und Geschichte. Gian Paolo Minelli, Lena Amuat & Zoë Meyer und Virginie Rebetez erstellen ihr Inventar von Gegenständen einer bestimmten Kategorie. Kurt Caviezel, Raymond Meier und Namsa Leuba setzen ihre konzeptuellen Ansätze anhand einer Reihe von gleichartigen Aufnahmen um, während die Naturbeobachtungen von Lukas Felzmann und Cécile Wick eine Verschiebung von der dokumentarischen Serie zur poetischen Variation erfahrbar machen.
Wenn die Gemeinsamkeit der hier vorgestellten Arbeiten auf den ersten Blick ein Streben nach Ordnung zu sein scheint, so geht es beim genaueren Hinsehen stets um deren Infragestellung: Wie dauerhaft sind wissenschaftlich bewiesene Wahrheiten, wie beständig sind Landesgrenzen, wie definierbar sind nationale Identitäten? Sind wir uns der Künstlichkeit von Kategorisierungen bewusst? Und hat die Fotografie als Werkzeug der Festschreibung und Kategorisierung nicht immer auch etwas Anmassendes?
Mit Werken von Lena Amuat & Zoë Meyer, Kurt Caviezel, Jean-Luc Cramatte, Roger Eberhard, Lukas Felzmann, Aline Henchoz, Namsa Leuba, Raymond Meier, Gian Paolo Minelli, Virginie Rebetez, Christian Schwager und Cécile Wick.